JENNY SCHÄFER
URMÜNDER
Jenny Schäfer - Nana Nidowa - Die Urmünder
Ein Interview
Jenny: Das ist mir vorab wichtig zu kommunizieren: Ich hab’ die Urmünder eigentlich auch gemacht, weil ich mal nicht so viel mit Worten und Denken machen wollte. Deshalb ist das für mich völlig absurd, dass ich jetzt hier Worte finden muss. Aber wir fangen einfach mal an.
Nana: Ich glaube, wir haben schon angefangen. Wieso wolltest du ausnahmsweise nicht so viel mit Worten machen?
Jenny: Ich arbeite in meinem Nebenjob manchmal mit Ton und habe gemerkt, dass mir das gefällt. Es ist wie kauen, nur mit den Händen. Es ist eine andere Form Dinge zu verdauen, ohne dass es Worte für sie gab. In meinen Arbeiten mit Text versuche ich für Sachen Worte zu finden, die ich sonst nicht so formulieren würde oder die ich zumindest noch nicht gedacht habe.
Das Arbeiten mit Ton ist der Versuch, mich von bestimmen Sachen, die sich wiederholen freizumachen - also raus aus der Wiederholung von bestimmten Strategien, die ich habe.
Nana: Inwiefern unterscheiden sich deine Strategien bei dieser Arbeit im Vergleich zu vorherigen?
Jenny: Die Urmünder waren der Versuch durch das Formen mit den Händen etwas anderes, eine neue Arbeitsweise, zu probieren. Es ist nicht abstrakt, aber für mich abstrakter als sonst. Ich habe etwas formloses angestrebt. Leute sehen die Objekte und denken beispielsweise, dass das eine Muschel sein könnte. Manche haben eine Vulva gesehen, was ich recht irritierend fand, weil ich da gar nicht dran gedacht habe. Das finde ich auch spannend, dass ich mich gar nicht so frei machen kann von konkreten Formen. Oder das auch nicht möchte.
Nana: Deine Absicht ist aber doch unabhängig davon, ob jemand deine Arbeit als Vulva, Blume oder Muschel interpretiert.
Jenny: Ja, und dennoch: ich wollte nicht direkt formlos arbeiten. Ich habe schon an eine Muschel gedacht, deshalb kam ich auch auf den Titel. Außerdem begleitete mich der Gedanke, dass ich gerne Bücher mache und die Urmünder auch als eine Art Buch empfand: ich kann es ja anfassen, es hat zwei Seiten, es ist bei mir. Außerdem kann ich die Form anmalen und damit hatte es dann auch gleichzeitig etwas malerisches.
Nana: Kannst du mehr dazu sagen, was für dich „malerisch“ heißt?
Jenny: Ich empfand meine Arbeit eigentlich immer auch als malerisch. Auch und gerade meine fotografische Arbeit. Malerisch im Sinne von gestisch, frei, poetisch, Umgang mit Farben, Formen und Komposition. Aber ich habe eben noch nie mit Farben etwas bemalt und das schreibe ich schon klar der Malerei zu, dass man einen Pinsel hat und Farbtöpfe und sich dann für und gegen bestimmte Farben entscheidet. Viel entscheidender war für mich, dass die Muschel ja eigentlich auch ein Abdruck ist und zwar von meiner Hand. Das fand ich deshalb interessant, weil in der Fotografie ja auch alles ein Abdruck ist: ein Lichtabdruck oder ein Print vom Tintenstrahl oder ein Risoprint etc. Ich fand deshalb die Übertragung naheliegend. Abdrücken, das Abdrücken von Realität(en) finde ich interessant.
Nana: Deine Urmünder zerfallen in zwei Prozesse: du hast einmal den Prozess des Formens des Tons und das Bemalen des Tons, sind das die zwei Seiten, von denen du gesprochen hast?
Jenny: Es gibt auch ein Innen und Außen! Es gibt nie ein reines Außen, Innen oder reine Vorder- und Rückseite. Und jeder Urmund hat natürlich auch eine Perle. Perlen haben viele Zuschreibungen. Besonders spannend fand ich, dass die Perle als Medizin benutzt wurde, in der Hoffnung Melancholie oder Wahnsinn heilen zu können. Gleichzeitig macht sie aber auch wieder die Assoziation zur Muschel stark, letztendlich sind die Urmünder natürlich Muscheln.
Nana: Was genau ist die Wirkung oder Absicht der Perle in den Urmündern?
Jenny: Dass man so einen kleinen Schatz bei sich hat, dass man in jedem Urmund einen solchen Punkt findet. Jede Perle ist mit einer Glasur überzogen, die bei einer bestimmten Temperatur gebrannt werden muss, um zu spiegeln. Wenn die gut gebrannt sind, kann man Lichtreflexionen oder im besten Falle seinen eigenen Umriss erkennen. Wenn man in seinen Urmund reinguckt, entdeckt man eine Art Spiegelbild.
Nana: Wie kamst du darauf, Urmünder zu machen?
Jenny: Ich habe erstmal geguckt, was überhaupt eine Muschel ist. In der Recherche hat sich herausgestellt, dass alle Muscheln zu den Urmündern gehören. Ich dachte: was ist das denn für ein verrückter Begriff? Schließlich las ich von Neu- und Urmündern. Bei den Urmündern wird im Unterschied zu den Neumündern der Urmund zum Mund und der Anus wird neu gebildet. Das fand ich eine wirklich spektakuläre Unterscheidung. Und so wie ich das verstanden habe, sind wir Menschen ebenfalls Urmünder. Wenn wir alle Urmünder sind, wird hier eine Verwandtschaft zur Muschel klar. Diese Verwandtschaft war der Grund, dass ich mich für diesen Titel entschieden habe.
Nana: Evolutionär gesehen ist der Mensch als Spezies recht jung. Dieses Verwandtschaftsbeziehung zeigt aber, dass es noch weitere Verbindungen zu anderen Lebensformen geben kann, die wir gemeinhin gar nicht denken.
Jenny: Donna Harraway hat ja auch einen großen Spaß daran, Verbindungen zu anderen Wesen zu ziehen im Sinne des „Making Kin“. In „Staying with the trouble“ benannte sie „String Figures“, wonach ich auch mein erstes Textbuch benannt habe. Die Abkürzung „SF“ bedeutet natürlich auch Science und Fiction und sie zählt einige andere Wortspiele auf. Ich glaube, darauf bezieht sich meine Arbeit immer wieder, dass man spielerisch Verbindungen untersucht. Welche Verbindungen gibt es in der Natur? Welche Verbindungen haben wir Menschen zu bestimmten Dingen? Warum fällt es den Menschen manchmal so schwer sich verbunden zu fühlen? Aber auch zwischenmenschlich: Wieso sind Abgrenzung zwischen den Menschen immer wieder so wichtig? Warum gibt es Überheblichkeit? Wie nah ist man einer Muschel? Ist man einer Muschel manchmal näher als wem anders, der Mensch ist? Aber das soll gar nicht moralisierend sein. Ich hab immer Angst, dass ich moralisierend klinge, so meine ich das gar nicht. Das sind nur so Gedanken.
Nana: Ich dachte jetzt gerade, dass der Spiegel durch die Perle eine Möglichkeit zur Reflexion darstellt.
Jenny: Er soll eher funktionieren als Spiegel wie bei Schneewittchen, ein mythischer Spiegel, der einem was sagt.
Nana: Auch als ein Hinweis auf die Verbindung zwischen Menschen und anderen Lebewesen?
Jenny: Ich will keine Interpretation vorgeben. Es sind eher Gedankenspiele, die ich verfolge. Im Grunde ist der Titel genauso wichtig wie die Arbeit oder genauso wichtig, wie wenn ich zwei Fotografien nebeneinander hänge oder genauso wichtig, wie die Gestaltung des Zimmers in der Ausstellung „Glitzer“ (MK&G), wo ich a neben b neben c hänge, um rauszufinden, was in dieser Konstellation passiert. Und in dieser Konstellation der Urmünder, ist der Abdruck meiner Finger die Erinnerung an die Riesenmuscheln, die Erinnerung an Perlen, dann dieses Auftragen von Glasur. Außerdem sind auch ganz viele Murmeln in den Urmündern. Dadurch sind weitere Farben sowie eine neue Tiefe in der Glasur entstanden. Das alles spielt zusammen und ist auch wieder eine Art Assemblage. Am Ende ist es auch nur ein Zusammensetzen.
Nana: Zusätzlich zur „Montage“ von unterschiedlichen Elementen, gibt es bei den Urmündern einen Prozess des Verschmelzens: Die Murmeln schmelzen und verbinden sich mit der Keramik und der Glasur und werden selbst zu Glasur.
Jenny: Genau, die Murmeln und die Glasur sind transparent oder farbig opak verschmolzen. Manche der Urmünder kann man auch aufhängen. Die meisten sind aber zum Hinstellen. Vor allem mag ich aber, dass man sie in die Hand nehmen kann, um sich fragen: wo wären meine Finger gewesen. Wichtig ist hier die Feststellung von Asymmetrie. Man hat zwar die Assoziation mit einer Riesenmuschel, aber daran stimmt ja einiges nicht und was am wenigsten stimmt, ist dass man sie schließen kann. Die beiden Teile passen gar nicht und manche wölben sich auch nach außen und haben eher etwas korallen- oder blumenhaftes. Auf den ersten Blick denkt man, es sind zwei Seiten, die zusammenpassen und auf den zweiten Blick stellt man fest, es geht gar nicht und es kann auf keinen Fall eine Muschel sein.
Nana: Du hast vorhin gesagt, dass es dir wichtig ist, dass man die Urmünder in die Hand nehmen kann. Sind sie denn Handschmeichler oder verhalten sie störrisch in der Hand einer anderen Person?
Jenny: Ich stelle mir schon vor, dass sie angefasst werden und auch, dass sie umgedreht werden, in anderem Licht angeschaut sowie dass es einen eigenen, verspielten Moment geben kann mit den Urmündern. Das finde ich eben auch an den Büchern immer so wichtig, dass sie außerhalb einer Institution funktionieren. Klar sind Galerie, Museen, öffentlicher Raum wichtige Orte für Kunst, aber ich möchte, dass man die Urmünder an einem Zuhause-Ort hat und dort mit ihnen immer wieder in Kontakt kommt und frei ist von institutionellen Zwängen.
Nana: Auch da frage ich mich wieder, soll ich mich über die Urmünder mit mir selbst auseinandersetzen?
Jenny: Auf die eigene Wahrnehmung ist man ohnehin stets zurückgeworfen, wenn man Kunst betrachtet. Bei den Urmündern kann zum Beispiel die Erfahrung machen, dass etwas hart ist und trotzdem weich. Die Urmünder sind hart, sehen aber weich aus. Vielleicht wie ein Tuch, das in die Luft geschmissen wurde oder ein Teig, der hochgeworfen wurde und durch die Schwerkraft seine Form verändert und sich verfaltet.
Nana: Und dann im Wurf oder im Fallen erstarrt. Liebe Jenny, danke dir für deine Zeit!
Jenny: Sehr gern. Danke dir!